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STRAFFREIHEIT MULTINATIONALER UNTERNEHMEN

Es herrscht ein großes Ungleichgewicht: 85% aller multinationaler Unternehmen haben ihren Sitz im globalen Norden, doch Betroffene von Menschenrechtsverletzungen befinden sich überwiegend im globalen Süden. Einige multinationale Unternehmen sind heute wirtschaftlich bedeutender als ganze Volkswirtschaften. Die Umsätze der 10 größten Unternehmen weltweit sind zusammen so hoch wie die gesamten Steuereinnahmen der 180 ärmsten Regierungen der Welt. Produktionsprozesse werden aufgrund von niedrigen Löhnen, geringer sozialer Absicherung für die Arbeiter*innen und nicht verbindliche Umweltstandards mehrheitlich in den globalen Süden verlegt. Doch es ist meist schwer, multinationale Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Das Prinzip der „Autonomie der juristischen Person“ bedeutet, dass in den meisten EU-Ländern multinationale Unternehmen rechtlich nicht als Einzelunternehmen, sondern als Unternehmensgruppe angesehen werden und dadurch rechtlich unabhängig voneinander betrachtet werden. Dies erschwert es, die Muttergesellschaft zur Verantwortung zu ziehen [1].

STRUKTURELLE PROBLEME IM GLOBALEN SÜDEN

Zudem kommen Hindernisse auf Opfer von Menschenrechtsverletzungen im globalen Süden zu, wenn sie sich entschließen, sich zu wehren. Ein erschwerter Zugang zu Informationen, Benachteiligung durch hohe Anwalts- und Gerichtskosten im Vergleich zu sehr hohen finanziellen Mittel der Unternehmen, keine ausreichenden Versicherungen und die Schwächung des Justizsystems durch Korruption in vielen Ländern sind einige von ihnen. Regierungen, welche die Aufgabe haben Bürger*innen zu schützen, liefern sich häufig Wettbewerbe, um ausländische Investitionen anzuziehen. Das Schaffen von günstigen Startbedingungen für multinationale Unternehmen führt zur Vernachlässigung der regulierenden Rolle und Kontrolle gegenüber wirtschaftlichen Aktivitäten [1].

DER FALL DER BERTA CÁCERES

 

Berta Cáceres war eine international bekannte Menschenrechtsverteidigerin und Trägerin des renommierten Goldman-Umweltschutzpreises [5]. Die 44-jährige Honduranerin war Sprecherin und Gründungsmitglied der Indigenenorganisation COPINH. Sie setzte sich gegen den Bau des Wasserkraftwerkes Agua-Zarca am Fluss Gualcarque in Honduras und auf dem Land der indigenen Gemeinschaft ein [2].

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Das Wasserkraftwerk Agua-Zarca

Das Projekt droht den Fluss Gualcarque und damit das gemeinschaftliche Ackerland auszutrocknen. Die Lenca nutzen den Fluss zur Bewässerung, zum Fischen, Baden, Waschen und als Trinkwasserquelle. Fließendes Wasser hat für die Lenca-Bevölkerung einen hohen spirituellen Wert. Die Stauung und Unterbrechung dieses Wasserflusses bedeutet, dass dem Leben des Flusses ein Riegel vorgeschoben wird. Am Flussufer werden regelmäßig spirituelle Zeremonien abgehalten, die nicht mehr durchgeführt werden können, wenn der Fluss trocken liegt [9, 10]. Dementsprechend leistet die lokale Gemeinschaft mit Unterstützung von COPINH seit Bekanntwerden des Projekts  Widerstand. Nach der Genehmigung der Verträge für das Agua-Zarca-Projekt und anderer Staudämme, die indigene Völker betreffen, reichte COPINH bei verschiedenen nationalen Behörden, darunter auch bei der Sonderstaatsanwaltschaft für ethnische Gruppen, Klagen wegen Nichteinhaltung der Pflicht zur Konsultation indigener Völker gemäß dem 1994 von Honduras ratifizierten ILO-Übereinkommen 169 ein [4]. Außerdem wurde bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen DESA wegen Landaneignung und gegen den Bürgermeister von Intibucá wegen der Genehmigung des Projekts in Río Blanco erstattet [4]. Seit 2013 wurde den Lenca im Zuge der Bauarbeiten dann der Zugang zum Fluss versperrt. Sie reagierten mit friedlichen Protesten, Straßensperrungen und Kundgebungen [4,10].

 

Die Situation eskaliert

Seit Beginn dieser Protestaktionen gehen die Unternehmen DESA und SINOHYDRO eskalierend und aggressiv gegen den legitimen und friedlichen Protest vor [4, 10]. Am 15. Juli 2013 eskalierte die Situation [4]. Militärangehörige, die die Baustelle bewachen, eröffnen das Feuer auf die friedlichen Demonstranten und töteten mit zahlreichen Schüssen den lokalen indigenen Anführer Tomás García [4]. Wie COPINH-Mitglieder bestätigen, war ihm zuvor Geld für die Beendigung des Protests angeboten worden, was er jedoch abgelehnt hatte. Nach der Empörung über Garcías Tod kündigte Sinohydro seinen Vertrag mit der DESA und zog seine Mitarbeiter*innen vom Projekt ab [8].  Generell berichten Bewohner*innen der Region von Einschüchterungen, Drohungen und körperlichen Aggressionen durch Mitarbeiter*innen der beteiligten Unternehmen [4]. Durch Bestechung und Korruption versuchen die Unternehmen überdies die Bevölkerung zu spalten und einen gewalttätigen Konflikt innerhalb der Gemeinden zu erzeugen. Kriminalität und Gewaltverbrechen haben seither zugenommen. In dem Bestreben, die örtliche Bevölkerung zu besänftigen, wurde der Bau des Damms im Oktober 2015 auf die andere Seite des Gualcarque-Flusses verlegt. Für bis dahin zerstörtes Ackerland und andere Kulturgüter sind die örtlichen Gemeinden nicht entschädigt worden [10]. 

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Die Tat

Seitdem waren Berta Cáceres und COPINH Drohungen, tätlichen Angriffen und Einschüchterungen ausgesetzt. Cáceres erhielt über Jahre Morddrohungen. Zwei ihrer Kinder hatten aus Sicherheitsgründen bereits Honduras verlassen [9]. Castillo hatte Cáceres zuerst Geld angeboten, damit sie die Proteste stoppte. Als sie sich weigerten, wurden die Mordpläne geschmiedet [9]. Cáceres wurde in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 in ihrem Haus in der Kleinstadt La Esperanza-Intibucá erschossen [5]. Der mexikanische Umweltaktivist Gustavo Castro überlebte das Attentat verletzt [10]. Im Jahr 2017 stiegen die Entwicklungsbanken FMO & Finnfund sowie Voith, welche die Turbinen lieferten, aus dem Projekt aus [6, 8, 10].  Die Erregung von internationalem Aufsehen stieg, wie auch die Angriffe auf die Staudammgegner [3, 4].

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Das Urteil 

Im Dezember 2019 fiel dann das Urteil. Laut Gericht sei seit 2016 erwiesen, dass die Leitung des Unternehmens DESA den Mord in Auftrag gegeben und bezahlt habe, um den Widerstand gegen das Wasserkraftwerk Agua Zarca zu brechen [3, 8]. Gericht verurteilte sieben der acht Angeklagten wegen des Mordes an Berta Cáceres, vier von ihnen zusätzlich wegen versuchten Mordes an Gustavo Castro. Ein Angeklagter, in dessen Haus die Tatwaffe gefunden wurde, dem aber keine Beteiligung nachzuweisen war, wurde freigesprochen [3]. Unter den Verurteilten befand sich neben Roberto David Castillo auch der DESA-Finanzvorstand Daniel Atala Midence sowie die drei Verwaltungsratsmitglieder José Eduardo, Pedro und Jacobo Atala Zablah [3, 5]. Die Familie Atala ist eine der mächtigsten Unternehmer- und Bankiersfamilien Honduras [4, 8]. Sie sind sehr reich und politisch einflussreich, Familienmitglieder präsidierten bereits für die honduranische Niederlassung der Zentralamerikanischen Bank für Wirtschaftsintegration sowie die Honduranisch-Amerikanische Handelskammer [4, 8, 10]. Es handelt sich um ein historisches Gerichtsurteil, da multinationale Unternehmen hier zur Verantwortung gezogen worden sind. Unzureichende Trennung zwischen der Privatwirtschaft, der Politik, dem Militär und der Justiz werden in Projekten wie dem „Agua Zarca“ in Honduras deutlich [5, 8]. COPINH nahm Stellung zum zum Urteil und zeigte sich zufrieden [3]. Die Verurteilung Castillos sei ein populärer Sieg für die Lenca-Gemeinde und die Familie von Berta Cáceres [3]. Die Strukturen der Macht hätten es in diesem Fall nicht geschafft, die Justiz zu korrumpieren. Aber wichtiger für COPINH als Castillo sei der mächtige Bankerclan Atala, der hinter der Desa und dem Agua-Zarca-Projekt steht [3]. COPINH und internationale Expertengruppe gehen davon aus, dass noch weitere Personen an dem Mord beteiligt waren [3]. Indigene Gemeinschaften forderten, dass die Strafverfolgung kein Ende haben dürfe und dass weitere Hintermänner der Firma sowie in den Institutionen zur Verantwortung gezogen werden müssten [5, 9].

Quellen:

[1] ASTM ( 2017): Ausser Kontrolle. Gegen die Straffreiheit multinationaler Unternehmen.

[2] Amnesty: Berta Cáceres/ COPINH. Online verfügbar unter: https://www.amnesty.de/mitmachen/brief-gegen-das-vergessen/honduras-berta-caceres-copinh-2019-03-28 [zuletzt geprüft am 27.02.23.

[3] Vogel, Wolf-Dieter (2021): 5 Jahre nach dem Mord an Berta Cáceres. Ex-Firmenchef verurteilt. In: Taz. Online verfügbar unter: https://taz.de/5-Jahre-nach-dem-Mord-an-Berta-Caceres/!5784243/. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[4] Lakhani, Nina (2023): Honduras-Staudammprojekt von  Gewalt beschattet. Aljazeera. Online verfügbar unter: https://www.aljazeera.com/features/2013/12/24/honduras-dam-project-shadowed-by-violence/. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[5] Dw (2022): Lange Haftstrafe für den Mord an Berta Cáceres in Honduras. Online verfügbar unter: https://www.dw.com/de/lange-haftstrafe-f%C3%BCr-den-mord-an-berta-c%C3%A1ceres-in-honduras/a-62199371. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[6] FMO: Hydroelektrisches Projekt Agua Zarca. Online verfügbar unter: https://www.fmo.nl/agua-zarca. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[7] Gegenströmung: Pressemitteilung von: Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit, Christliche Initiative Romero, Honduras Forum Schweiz, HondurasDelegation (30. November 2018). Online verfügbar unter: https://www.gegenstroemung.org/blog/verurteilte-aber-noch-keine-gerechtigkeit-urteil-im-mordfall-berta-caceres/. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[8] Olson, Jared (2022): Das Geld vor dem Mord. Online verfügbar unter. In: The Intercept. Online verfügbar unter: https://theintercept.com/2022/06/29/berta-caceres-honduras-asesinato-rastro-dinero/. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[9] Milz, Thomas (2022): Mord an honduranischer Umweltaktivistin Berta Cáceres: Früherer Chef der nationalen Elektrizitätsgesellschaft zu 22 Jahren Haft verurteilt

In: Neue Bücher Zeitung. Online verfügbar unter: https://www.nzz.ch/international/honduras-urteil-im-mord-an-umwelt-aktivistin-berta-caceres-ld.1690276. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

[10] Endres, Alexandra (2016): Wer ließ die Umweltschützerin Berta Cáceres töten? In: Zeit. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2016-11/honduras-berta-caceres-mord-voith-hydro-siemens-menschenrechte-verantwortung/seite-4. Zuletzt geprüft am 27.02.23.

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